Der Hund auf der Couch

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Anna Baumgartner ist mit ihren beiden Hunden aus der Stadt aufs Land gezogen. Ideal für Hunde, mag man meinen. Recht amüsant beschreibt die Germanistin, wie ihre Vierbeiner die neue Lebenssituation aufnahmen.

Dass Hunde sensibel sind, ist nichts Neues. Auch wenn die Wissenschaft sich jetzt das Ziel gesetzt hat diesen Umstand auf­zuzeigen und darauf hinweist, dass das Gefühlsleben eines Hundes durchaus mit dem eines Menschen vergleichbar ist. Dies liege an der ähnlichen Hirnstruktur, welche Säugetiere im Allgemeinen aufweisen und ließe noch viele weitere kühne Schlüsse zu. Dank dieser ähnlichen Gehirne weiß man heute, was Hundeliebhaber schon immer ahnten: Ja, Hunde können fröhlich, traurig, enttäuscht und eifersüchtig sein oder einfach mal einen schlechten Tag haben.
 
Aus der Stadt auf das Land
Wie nahe Hund gewisse Erlebnisse gehen, erfuhr ich, als ich mit ­meinem Italienischen Windspiel-Rüden Vidi und meiner Irish Terrier-Hündin Cherry aus der Stadtwohnung in Zürich aufs Land zog. Naiv wie ich bin, erwartete ich, dass meine Hunde in einen Freudentaumel ausbrechen würden, sobald sie im neuen Heim mit Garten eintreffen würden. Am Garten haben sie tatsächlich nichts auszusetzen. Ansonsten aber habe ich erlebt, wie meine Hündin Cherry, die ein sehr sozialkompatibles irisches Modell darstellt, sich plötzlich als Rüpel aufführte. Dies war natürlich den zarten Banden mit der neuen Nachbarschaft nicht übertrieben zuträglich.

Windspiel-Rüde Vidi hingegen demonstrierte sein Missbefinden nicht mit ein paar Übergriffen. Er überging sozusagen diese hündische Instanz, um es gleich direkt mit den richtig üblen Typen unserer ländlichen Umgebung aufzunehmen. Seine erklärten Staatsfeinde Nr. 1 sind nämlich die friedlich weidenden Kühe des ­Bauern, welcher am Ende unserer Straße wohnt. Vidis Antipathie stößt jedoch wider Erwarten nicht auf Gewaltbereitschaft, sondern löst bei den Weidegängern eine Art kynologisches Interesse aus. Sobald unser etwas außergewöhnliches Menschen-Hund-Trio seine letzte Runde vorbei an besagter Weide zieht, traben die Kühe munter heran und beharren jedes Mal darauf, dem in höchsten Tönen protestierenden Vidi bis ans Ende des Zauns Geleitschutz zu geben.

Kühe als Stalker
Unsere Abendrunde hat dadurch eine ganz interessante Würze bekommen. Seit Vidi lautstark bekannt gibt, dass die stalkenden Kühe ihn mehr als nur ein wenig beunruhigen und wer weiß, vielleicht nach dem Leben ­trachten, mimt Cherry Kevin Costner als knallharten Bodyguard, der Whitney Houston das Leben rettet. Sie wähnt sich als Heldin, die den verzweifelten Vidi mit der wunderschönen Stimme (Windspiele können wirklich in allen Stimmlagen bellen) und den langen schlanken Beinen vor seinem übereifrigen Publikum zu retten hat. Sie tut dies leider nicht ganz so dezent wie besagter Costner, sondern eben nach Terriermanier mit viel Getue und Getöse.

Zu meiner persönlichen Verteidigung muss ich anfügen, dass meine Hunde zuvor durchaus nicht reine Pflastersteinkinder waren. Im Gegenteil, auch in Zürich gingen wir jeden Tag und bei jedem Wetter übers Land, vorbei an Bauernhöfen und echten, lebens­großen Kühen.

Mein erster Gedanke war, dass die Kühe vom Land eventuell einem anderen Phänotyp entsprechen. Vielleicht auch einfach eine andere, etwas direktere Gebärdensprache an den Tag legen. Hunde achten ja bekanntlich auf solche Details. Doch Daniela, eine gute Freundin und noch viel bessere Hundetrainerin, befand dies schlicht für Unsinn und bekundete, dass der Umzug, der Umgebungswechsel und die neuen Routinen sehr anstrengend für meine Hunde seien und zudem schwierig zu verarbeiten. „Schließlich seid ihr nicht bloß im Urlaub, wo es nur eine Frage der Zeit ist, bis die alten gewohnten Spaziergänge ­wieder zurück sind. Und das haben deine Hunde ganz genau gemerkt. Sie haben ganz einfach Stress.“

Stress. Das hat man nun davon, wenn man wochenlang Kisten zusammenpackt, Bilder in Plastikfolien einwickelt und Ikeamöbel in ihren ursprüng­lichen Zustand versetzt. Die Hunde haben das alles minutiös beobachtet und sich darüber geärgert, dass die besten Schlafplätze verstellt, verschoben oder plötzlich aufgehoben waren. Sogar die leere, geputzte Wohnung durften sie nochmals ganz kurz anschauen, um zu verinnerlichen, dass es kein Zurück mehr gibt. Leider ­führte all diese Veranschaulichung nicht zu dem gewünschten Resultat. Doch was tut man mit einem, in meinem Fall zwei gestressten Hunden?

Hunde auf der Couch
Im Internet findet man von Tierkommunikation über Hundeyoga bis hin zu beruhigenden Duftstoffen eine breite Palette an Möglichkeiten, wie man seiner haarigeren Seite das ­innere Wohlbehagen zurückgeben kann. Angeregt durch die verschiedenen Möglichkeiten schwebte mir bald die Idee vor, meine Hunde auf die Couch zu legen und sie durch psychologisch einfühlsame Hinweise an ihr Trauma heranzuführen, um dieses sachte zu bewältigen. Bei etwas näherer Betrachtung würde das Resultat etwa so ausfallen: Hündin Cherry rollt sich grummelnd auf dem Sofa zusammen, um demnächst in einen interessanten Mäuseausgrabtraum zu fallen. Rüde Vidi würde sich in Ermangelung eines Kopfkissens ganz dicht an sie herankuscheln und den Kopf in ihr weiches Fell graben. Auch dies mit dem Bestreben, möglichst bald in einen unterhaltsamen Schlaf zu fallen. Und ich würde mit Brille, Block und Bleistift danebensitzen, um aus dem Gegrummel und Gezucke etwas über deren tiefsitzende Kindheitserlebnisse zu erfahren.

Diese Aussichten erschienen mir aber nicht wirklich aussichtsreich, also wandte ich mich wieder an Daniela, welche folgende Vorschläge machte: 1. Zeit und 2. Desensibilisierung.
Jeder, der diesen Zungenbrecher schon einmal über sich ergehen lassen musste, weiß, was damit gemeint ist. Hier die Kurzversion für alle bisher Verschonten: Man nehme seinen Hund zu dem Objekt des Schreckens. Be­halte ihn auf so großer Distanz zu besagtem Objekt, dass der Hund sich nicht aufzuregen braucht, und wiederhole dieses Prozedere tagtäglich. Man verringere die Distanz sukzessive. Im Fokus steht jedoch immer, dass der Hund ruhig und ausgeglichen bleibt. Dies mache man so lange, bis der Hund keinen Grund mehr sieht, sich über Kühe, Hunde, Kirchtürme oder Hufgeklapper aufzuregen.
 
Vidi hat die Kühe mittlerweile gänzlich aufgegeben und spaziert ganz Diva-like, sie keines Blickes würdigend, an ihnen vorbei. ­Cherry verwarnt die Kühe nur noch kurz und lässt sie ansonsten links liegen, während wir mit den ­Nachbarshunden noch etwas mehr Vorsicht walten ­lassen, denn nachbarschaftliche ­Bande sind zart und definitiv weniger reißfest als ­Hundeleinen.

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